19.11.2007

Grundsicherung, Geldvermächtnis und Testamentsvollstreckung

Wer Leistungen auf Grundsicherung beantragt oder bereits erhält, steht regelmäßig vor der Frage, ob der Leistungsanspruch entfällt, wenn ihm ein Vermächtnis oder sonstiger Nachlass zugewandt wird. Als vorrangig zu verwertendes Vermögen sind nämlich laut § 12 I SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Das LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 09.10.2007 – L 7 AS 3528/07) beschäftigte sich mit dem Fall eines abgelehnten Leistungsantrages auf Grundsicherung, wobei der Antragsteller einen Vermächtnisanspruch bsaß: Die Erblasserin setzte ihre Tochter zur Alleinerbin ein und ihrem alkoholkranken, unter Betreuung stehenden Sohn durch Vorvermächtnis einen Geldbetrag von € 50.000,00 aus. Über das Vorvermächtnis wurde Testamentsvollstreckung angeordnet mit der Anweisung an den Testamentsvollstrecker, dass er allein nach seinem billigen Ermessen über die Höhe der auszuzahlenden Beträge bestimmen durfte. Als der alkoholkranke Vermächtnisnehmer fast kein Vermögen mehr besaß, beantragte er Leistungen auf Grundsicherung für Arbeitssuchende. Dies wurde gemäß § 12 I SGB II abgelehnt mit der Begründung, das unter Testamentsvollstreckung stehende Geldvermächtnis sei als „verwertbarer Vermögensgegenstand“ zu berücksichtigen. Das LSG Baden-Württemberg erachtete dies für unbegründet und der Antragsteller gemäß § 7 I 1 Nrn. 2 und 3 SGB II als leistungsberechtigt angesehen. Das Vorvermächtnis sei nicht zu berücksichtigen, weil der Antragsteller wegen § 2211 BGB gehindert sei, über den Vermächtnisgegenstand kraft der angeordneten Testamentsvollstreckung zu verfügen. Da er gegen den Testamentsvollstrecker keinen rechtlich durchsetzbaren Anspruch besitzt, um auf den Geldbetrag direkt zuzugreifen, sei er gehindert, das Geldvermächtnis selbst einer Verwertung zuzuführen. Auch ein Verstoß des Testaments gegen § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit sei nicht gegeben. Hierzu stellt das Landessozialgericht auf den Bereich des „Behindertentestaments“ des BGH ab (BGH NJW 1990, 2055; NJW 1994, 248; Wolfgang Roth, Erbrecht und Betreuungsfall, Verlag C.H. Beck 2005, S. 36 ff.; Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht/Bengel, § 14). Da durch die Testamentsgestaltung (Anordnung eines Vorvermächtnisses mit Testamentsvollstreckung) das Kindeswohl in den Vordergrund trat, war die Erblasserin wegen ihrer grundrechtlich geschützten Testierfreiheit nicht verpflichtet, den Träger der Sozialleistungen zu bevorzugen. Praxistipp: Um überschuldeten Kindern nicht die Möglichkeit zu nehmen, staatliche Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, dennoch ihnen aus dem Nachlass etwas zukommen zu lassen, muss bei der Testamentsgestaltung genau darauf geachtet werden, dass die testamentarischen Beschränkungen deshalb angeordnet werden, um dem Wohl des Kindes zu dienen. Andernfalls droht die Sittenwidrigkeit des Testaments (Überblick s. Jülicher/Klinger, Erbfall und Sozialhilferegress NJW-Spezial 2005, 109). Entscheidend dabei sind die Anordnungen an den Testamentsvollstrecker, der aufgrund der testamentarischen Vorgaben den von ihm verwalteten Nachlass dem Bedachten nur in den Grenzen des „Behindertentestaments“ zukommen lässt, welche der BGH aufgestellt hat. Die jetzige Entscheidung des LSG Baden-Württemberg zeigt, dass diese Grundsätze auch auf den Bereich des Grundsicherungsgesetzes übertragbar sind.

Erstellt von Wolfgang Roth, FAErbR, Obrigheim



Erstellt von: Stephan Konrad - Fachanwalt für Erbrecht, Bielefeld

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