01.02.2015
Testamentsvollstreckung und Pflichtteil

Kann/muss der Pflichtteilsanspruch vom Testamentsvollstrecker geltend gemacht werden?

1. Rechtsnatur des Pflichtteilsanspruchs
Der Pflichtteilsanspruch ist im Gesetz an verschiedenen Stellen als persönlicher Anspruch ausgestaltet. Der Pflichtteilsberechtigte soll selber entscheiden, ob der Pflichtteil bezahlt werden muss oder nicht. So sieht § 852 Abs. 1 ZPO vor, dass der Pflichtteilsanspruch der Pfändung nur unterworfen ist, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist. Es reicht dabei aus, dass der Anspruch vom Pflichtteilsberechtigten vor der Pfändung geltend gemacht worden ist.  Auch im Insolvenzrecht ist die Entschließungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten besonders geschützt. Der Pflichtteilsanspruch des Insolvenzschuldners muss während der Wohlverhaltensphase nicht geltend gemacht werden. Die Personenbezogenheit des Pflichtteils kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass er beispielsweise bei einem Nachlass, der unter Testamentsvollstreckung steht, nur gegen die Erben und nicht den Testamentsvollstrecker geltend gemacht werden kann. Dies ergibt sich aus § 2213 Absatz 1 Satz 3 BGB.
Der Rechtsgedanke, der dahinter steht, ist der, dass der Familienfriede durch Dritte nicht gestört werden und es grundsätzlich den Familienmitglieder vorbehalten bleiben soll, darüber zu entscheiden, ob der Pflichtteil bezahlt werden muss oder nicht.
Der Pflichtteilsanspruch ist ein auf Geld gerichteter Anspruch und beträgt wertmäßig die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (§ 2303 BGB). Er ist Nachlassverbindlichkeit im Sinne des § 1967 Abs. 2 BGB, und da es sich bei dem Pflichtteilsanspruch um eine Geldforderung handelt, gelten für ihn die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts.  Der Pflichtteilsanspruch ist auch vererblich und übertragbar (§ 2317 Abs. 2 BGB).


2. Aktivlegimitation des Testamentsvollstreckers bei einem Pflichtteilsanspruch im Nachlass
Wegen des persönlichen Charakters des Pflichtteilsrechts dängt sich die Frage auf, ob ein Pflichtteilsanspruch der in einen Nachlass fällt, der der Testamentsvollstreckung unterliegt, vom Testamentsvollstrecker geltend gemacht werden  kann oder gar muss. Hiergegen könnten die Persönlichkeit des Pflichtteilsanspruches und der Erhalt des Familienfriedens sprechen.

Mit einer solchen Fallgestaltung hatte sich das OLG Frankfurt a.M. in seinem  Urteil vom 26.02.2014 - 19 U 96/13 zu befassen. Es hat geurteilt, dass der Testamentsvollstrecker einen seiner Verwaltung unterliegenden Pflichtteilsanspruch geltend machen kann. Der Bundesgerichtshof hat dies in seinem Urteil vom 5. 11. 2014 - IV ZR 104/14 bestätigt. Danach ist der Testamentsvollstrecker nicht nur berechtigt sondern sogar verpflichtet, den Pflichtteilsanspruch geltend zu machen und durchzusetzen, wenn er sich in der der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlassmasse befindet. Nur dann, wenn der Erblasser Gegenteiliges bestimmt oder darauf verzichtet hätte, gilt dies nicht.
Begründet wird dies damit, dass der Pflichtteilsanspruch kein höchstpersönliches Recht sei, da er vererblich und übertragbar wäre. Der Pflichtteilsanspruch sei auch kein sonstiger Vermögensbestandteil des Nachlasses, der infolge seiner Rechtsnatur nur vom Erben und nicht vom Testamentsvollstrecker geltend gemacht werden könne. Zwar entspringe der Pflichtteilsanspruch den familiären Verhältnissen zwischen dem Pflichtteilsgläubiger und dem Erblasser: So entscheide der Berechtigte, ob der Pflichtteilsanspruch geltend gemacht werden soll oder nicht, selbst. Da der Pflichtteilsanspruch aber auf eine Geldforderung gerichtet sei, stelle er eine Forderung dar, für welche die Regeln des allgemeinen Schuldrechts gelten würden. Nur weil Pflichtteilsrechte einem eingeschränkten Personenkreis zustehen, schließe das jedoch die Berechtigung des Testamentsvollstreckers, diese Forderung geltend zu machen, nicht aus.

3. Fallbeispiel
Die Konsequenz der Entscheidung soll folgender Fall verdeutlichen:

Die Eheleute M und F sind verheiratet, leben aber in Trennung. Sie haben zwei Kinder: ihren Sohn S und die Tochter T, die wiederum ein Kind hat. F hat in ihrem Testament ihren Sohn S zum Alleinerben eingesetzt. M errichtet ein Testament, indem er seine Tochter T und das Enkelkind K  zu seinen Erben einsetzt. Er ordnet Testamentsvollstreckung an und bestimmt seinen Freund F zum Testamentsvollstrecker. F verstirbt 2 Jahre und 10 Monate vor M. In dieser Zeit hat M seinen Pflichtteilsanspruch gegen S aus Anlass des Todes der M nicht geltend gemacht. Dies ändert sich, nachdem der M verstirbt und der Testamentsvollstrecker F das Amt annimmt. Er muss, will er sich nicht gegenüber der Tochter T und dem Enkelkind K schadensersatzpflichtig machen, den Pflichtteil des M aus Anlass seiner Frau von S verlangen, und dies sehr schnell, da der Anspruch nach Ablauf von drei Jahren zu verjähren droht.

Tipp vom Fachanwalt für Erbrecht aus Reutlingen Armin Abele: Wie der Fall zeigt, muss der Testamentsvollstrecker alles unternehmen, um Schaden von dem von ihm verwalteten Nachlass abzuwenden. Alle Ansprüche sind geltend zu machen und durchzusetzen. Es liegt nicht im Ermessen des Testamentsvollstreckers auf Pflichtteilsansprüche zu verzichten oder diese verjähren zu lassen!



Erstellt von: Armin Abele - Fachanwalt für Erbrecht, Reutlingen

← zurück

Sie brauchen erbrechtlichen Rat?

Testamentsvollstrecker - Fachanwälte für ErbrechtHier finden Sie unsere Testamentsvollstrecker in Ihrer N�he.

Erbrecht-App

Laden Sie hier unsere kostenlose Erbrecht-App
Erbrecht App
Bleiben Sie mit uns in Kontakt.

Netzwerk Deutscher Testamentsvollstrecker e.V.
Fachanwälte für Erbrecht