26.06.2015
Testamentsvollstreckung, familiengerichtliche Genehmigung, minderjähriger Alleinerbe

Testamentsvollstrecker kann für einen minderjährigen Erben eine Immobilie ohne familiengerichtliche Genehmigung erwerben.

Das OLG Karlsruhe hatte sich in seinem Beschluss vom 01.06.2015 (11 WX 29/15 = BeckRS 2015, 10424) mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Testamentsvollstrecker, der den Nachlass für einen minderjährigen Alleinerben verwaltet, für den Erwerb eines Eigentumswohnung eine familiengerichtliche Genehmigung einholen muss.

Der Erblasser hatte in seinem Testament für den minderjährigen Erben eine Dauertestamentsvollstreckung angeordnet. Der Testamentsvollstrecker hat im Rahmen seiner Nachlassverwaltung für den minderjährigen Alleinerben eine zum Nachlass gehörende Eigentumswohnung im Rahmen eines notariellen Kaufvertrages gekauft.

Das Grundbuchamt verweigerte die Eintragung des Käufers mit folgender Begründung:

  • Der Abschluss des Kaufvertrages bedürfe einer familienrechtlicher Genehmigung nach §§ 1626, 1629, 1643 BGB i.V.m. § 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB. Der minderjährige Erbe müsse nämlich zur Eingehung der Verbindlichkeit zur Zahlung des Kaufpreises nach § 2206 BGB seine Zustimmung erteilen. 
  • Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folge, dass verhindert werden müsse, dass Minderjährige mit Verbindlichkeiten belastet in die Volljährigkeit gingen. Ob es möglich sei, die durch den Kaufvertrag begründeten Verbindlichkeiten allein aus Mitteln des Nachlasses zu erfüllen, könne das Grundbuchamt nicht prüfen.

Gegen diese Entscheidung des Grundbuchamts wurde Beschwerde eingelegt. Das OLG Karlsruhe hat in seinem Beschluss vom 01.06.2015 entschieden, dass der Vollzug des Kaufvertrages nicht von einer familiengerichtlichen Genehmigung des Geschäfts abhängig gemacht werden darf und dies wie folgt begründet:

  1. Eine Genehmigungsbedürftigkeit ergibt sich nicht aus den §§ 1626, 1629, 1643, 1821 Abs. 1 Nr. 5 BGB, da dies Bestimmungen nur die schuldrechtliche Vereinbarung, die dem dinglichen Rechtsgeschäft zu Grunde liegt, betrifft. Die Wirksamkeit des dinglichen Vollzugsgeschäfts würde von einer möglichen (schwebenden) Unwirksamkeit des schuldrechtlichen Geschäfts nicht berührt. Das Grundbuchamt hat deshalb nach Auffassung des OLG Karlsruhe die Gültigkeit des dem dinglichen Rechtsgeschäft zu Grunde liegenden Kausalgeschäfts nicht zu prüfen (BayObLG, NJW-RR 1990, 87; NJW-RR 1922, 328).
  2. Die Genehmigungsbedürftigkeit ergibt sich auch nicht aus der Bestimmung des § 1821 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 BGB: Diese Bestimmungen sind nicht einschlägig, weil sie nur Verfügungen und Verpflichtungen betreffen, die ein Vormund – oder im Anwendungsbereich des § 1643 BGB ein Elternteil – im Rahmen seiner gesetzlichen Vertretungsmacht hinsichtlich des Mündelvermögens vornimmt. Diese Bestimmung gilt daher nach Auffassung des OLG Karlsruhe nicht, wenn der betroffene Vermögensgegenstand einer anderweitigen Verwaltung – wie etwa durch einen Testamentsvollstrecker – unterliegt (BayObLG, NJW-RR 1992, 328; OLG Hamburg, DNotZ 1983, 381). Auch der Bundesgerichtshof (ZEV 2006, 262) hat bereits ausgesprochen, dass ein Testamentsvollstrecker grundsätzlich unbeschränkt verfügungsbefugt sei und keiner vormundschaftsrichterlichen Genehmigung auch im Hinblick auf einen in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkten Erben bedürfe.
  3. Eine familiengerichtliche Genehmigung ist auch nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 2206 BGB erforderlich: Das Grundbuchamt habe nicht zu prüfen, ob der Nachlass wirksam verpflichtet worden ist, die Gegenleistung für den Erwerb der Wohnung zu erbringen. Sollte also der Testamentsvollstrecker weder nach § 2206 Abs. 1 S. 1 oder S. 2 BGB, noch aus einem anderen Grunde berechtigt gewesen sein, die Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung einzugehen, ist der Nachlass nicht wirksam verpflichtet worden. Ob dies zu einer späteren Rückabwicklung des Geschäftes nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen führen kann, ist im Grundbuchverfahren nicht zu untersuchen.
  4. Auch der vom Grundbuchamt angesprochene Grundsatz des effektiven Minderjährigenschutzes rechtfertigt keine andere Beurteilung: Die vom Grundbuchamt angesprochene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 72, 155) betraf den Fall, in dem Eltern kraft ihrer elterlichen Vertretungsmacht ihre Kinder bei Fortführung eines ererbten Handelsgeschäftes in ungeteilter Erbengemeinschaft finanziell unbegrenzt verpflichten konnten. Im Falle der Testamentsvollstreckung liegt es indes so, dass Verbindlichkeiten für den Erben von vornherein nur im Rahmen des § 2206 BGB eingegangen werden dürfen.

 

Bernhard F. Klinger, Fachanwalt für Erbrecht und Testamentsvollstrecker in München, weist darauf hin, dass die Entscheidung des OLG Karlsruhe die Handlungsfähigkeit des Testamentsvollstreckers stärkt. Da das Grundbuchamt in Fällen dieser Art den Vollzug des Geschäftes nicht mehr prüfen und ggfs. verhindern kann, muss der Testamentsvollstrecker bei Vornahme ähnlicher Rechtsgeschäfte größte Sorgfalt walten lassen insbesondere bei der Beurteilung der Frage, ob er nach den Bestimmungen der Testamentsvollstreckung zum Abschluss des Geschäfts berechtigt ist.



Erstellt von: Bernhard F. Klinger (verstorben am 13. September 2021) - Fachanwalt für Erbrecht, München

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